Ein seit etwa 200 Jahren weitverbreiteter sprachlicher Mythos lautet, in und um Hannover werde das „beste“ Hochdeutsch gesprochen. Nur wenige empirische Studien haben bislang aus synchroner Sicht untersucht, ob diesem Mythos eine sprachliche Realität – etwa eine tatsächlich kaum lokal oder regional gefärbte Aussprache des kodifizierten Standarddeutsch – zugrunde liegt.
Das DFG-Projekt „Die Stadtsprache Hannovers“ analysiert den Mythos im Kontext der real-sprachlichen Landschaft Hannovers: Um ein möglichst vollständiges Bild der stadtsprachlichen Sprachlagen zu erlangen, werden in einem mehrgliedrigen Sprachexperiment Sprachdaten von Hannoveranern und Hannoveranerinnen erhoben und im Hinblick auf standardkonforme und standarddivergente Elemente untersucht. Parallel dazu werden die Gewährspersonen nach ihren Kenntnissen von und Einstellungen gegenüber diesen Varietäten sowie bestimmten sprachlichen Erscheinungen (etwa regionale und lokale Aussprachen) befragt. Eine wichtige Rolle spielt dabei das "Hannöversche" - eine städtische Zwischenvarietät zwischen Hoch- und Niederdeutsch, die in Resten bei älteren Sprechenden durchaus noch zu hören ist und auch im Diskurs prominent ist.
Das Projekt untersucht den Mythos somit erstmalig ausführlich aus variations- und perzeptionslinguistischer, sprachbiografischer und sprachideologischer Sicht anhand von aktuellen Sprachdaten sowie Meinungen, Bewertungen und weiterer Wissensbestände der Hannoveraner Sprecher und Sprecherinnen selbst. Ziel ist eine erschöpfende Antwort auf die Frage, ob es sich bei dem bekannten Mythos um Fiktion oder eine sprachwissenschaftlich fundierte Wirklichkeit handelt.
PROJEKTBEREICH 1: Objektive Daten und Perspektiven
In einem mehrgliedrigen Sprachexperiment sowie in verschiedenen Gesprächssettings werden Sprachdaten der Hannoveranerinnen und Hannoveraner erhoben. Dabei werden die Gewährspersonen am Beginn gebeten, "hochdeutsch" zu sprechen. Die so gewonnenen Sprachdaten werden nach aktuellen linguistischen Methoden ausgewertet und das Auftreten standarddeutscher, regionalsprachlicher und lokaler Aussprachen wird einer explorativen statistischen Analyse unterzogen. Letztlich sollen die Ergebnisse eine Antwort auf die Frage erlauben, wie „hochdeutsch“ die Sprache in Hannover tatsächlich ist.
PROJEKTBEREICH 2: Subjektive Daten und Perspektiven
In diesem Projektteil werden mittels sprachbiografischen Interviews, Mental Maps und Perzeptionstests Einstellungen, sprachliche und sprachräumliche Konzepte sowie Hörurteilsdaten hannoverscher Gewährspersonen erhoben. Dies trägt nicht nur zur besseren Interpretation der quantitativen Sprachproduktionsdaten bei, sondern zeichnet auch urbane Sprecherbiografien, Normhorizonte und (sprachliche) Handlungs- und Deutungsmuster von Hannoveranern und Hannoveranerinnen nach und fördert Wissensbestände zum innerstädtischen Variations- und Varietätenspektrum (Hochdeutsch, Hannöversch, Niederdeutsch) zu Tage. Der hannoversche Hochdeutsch-Mythos wird damit auch aus einer Innenperspektive beleuchtet.
ZUSÄTZLICHER PROJEKTBEREICH: Vergleichsstudien (nicht DFG-gefördert)
Der Sprachmythos besagt, dass in Hannover das „beste/reinste“ Hochdeutsch gesprochen wird. Ein relationaler Begriff! Vergleichsstudien in anderen norddeutschen Städten wie Burgdorf, Wunstorf, Minden, Gütersloh, Celle oder Braunschweig, sollen zeigen, ob die sprachliche Situation in Hannover einmalig oder durchaus vergleichbar mit derjenigen anderer Städte ist. Diese Studien werden von Studierenden der Leibniz Universität Hannover als Abschlussarbeiten verfasst und vom Projektteam betreut. Hier gelangen Sie zu den bereits veröffentlichten Arbeiten (weitere sind derzeit im Veröffentlichungsprozess).
Das Projekt wird gefördert durch die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG, Projektnummer 431328772)
Laufzeit 1. Projektphase: 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 Laufzeit 2. Projektphase: 1. Januar 2023 bis 31. März 2024